Sonntag, 12. August 2007

Copyright auf Kochrezepte? Nein danke!

FAZ vom Samstag, 11.8.2007 - GeschmackssacheWas im Bereich der Software zu besten Ergebnissen führt, soll - im Bereich der Küche - auf einmal schlecht sein. Zumindest, wenn es nach Jürgen Dollase, dem Gastro-Schreiberling der Frankfurter Allgemeinen geht. In seiner Kolumne "Geschmackssache", diesmal mit dem vielsagenden Titel "Copyright aufs Kochen. Rezepte brauche Kreativität: Wider den munteren Ideendiebstahl", bricht er eine Lanze dafür, Kochkreationen durch das Urheberrecht zu schützen.
Der Text selbst ist bezeichnenderweise Bezahl-Content, d.h. wir können ihn nicht verlinken, sondern bloß holzschnittartig wiedergeben. Dollase jedenfalls will die Praxis erkennen, dass "Küchenchefs [...] landauf, landab wie die Raben [klauen]", was gemeinhin unverfolgt und unbestraft bleibe. In den Küchen herrsche also "urheberrechtliche Anarchie". Für Dollase kommt das einem kleinen Skandal gleich, denn: "Einige Köche, von den Brüdern Troisgros ("Lachs mit Sauerampfer") bis zu Ferran Adrià, hätten mit Lizenzgebühren für ihre Entwicklungen steinreich werden können."
Geschmack ist bekanntlich kulturell geprägt, der Sinn dafür wird uns liebe- bis mühevoll anerzogen. Damit beginnen schon unsere Mütter und Familien. Die Schule und andere (Bildungs-)Institutionen vervollkommnen diese frühkindliche Prägung (vgl. Pierre Bourdieus empfehlenswerten Wälzer Die feinen Unterschiede). Was unsereineR gut findet, hat daher auch immer mit dem kulturellen und sozialen Umfeld zu tun, in dem er/sie sich bewegt. Das heißt, dass schon die Grundvoraussetzung für das Kreieren neuer Kochrezepte keine individuelle, sondern vielmehr eine gesellschaftliche ist.
Ferner sind Rezepte seit jeher nichts Statisches, sondern viel eher so etwas wie die Ur-Ahnen des Open Source-Gedankens. Über Jahrhunderte hinweg wurden sie von Koch zu Koch (bzw. von Köchin zu Köchin) weitergegeben und von jedem/jeder gemäß eigenen Vorstellungen und dem Geschmack der jeweiligen Zeit entsprechend adaptiert. Dass nicht nur eine Person, sondern viele an den Rezepten arbeiten, macht den Reichtum aller Küchen weltweit aus.
Nun hat sich die Welt der Küchen in unseren Breiten aber seit einigen Jahrzehnten verändert: Einige wenige Männer haben in der Küche Starstatus erreicht (Frauen gehören da erstaunlicherweise immer noch kaum dazu). Sie sollen diesen nun - geht es nach Dollase - auch wirklich zu Geld machen können. Erstaunlich, denn auch deren Rezepte kommen ja nicht aus dem Nichts. Im Gegenteil, sie können ja eigentlich nur auf der Basis jener Open Source-Küchentraditionen entstehen, in der sich die Köche, aber auch die Esser bewegen. Warum also etwas zugunsten einiger Weniger kapitalisieren, was auch ohne die Wirksamkeit der Marktlogik seit Jahrhunderten bestens funktioniert? Noch nie was von Creative Commons gehört, Herr Dollase?

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